Deutschland fühlt sich wieder besonders
An der Seite Israels kehrt Berlin zurück zu alter Form – autoritäres Durchgreifen im Inland und Missachtung des Völkerrechts im Ausland
Das neue alte, das Zeiten(w)ende Deutschland der Ampelei zeigt jetzt richtig, was es kann. Gestern wurde ein Kongress in Berlin, der zur Unterstützung Palästinas und zum Protest gegen den Völkermord an den Palästinensern durch Israel aufgerufen hatte, zunächst systematisch schikaniert und dann geschlossen . Die Polizei entsandte eine kleine Armee von fast tausend Beamten, viele davon im taktischem Gesamtschwarz, die eindeutig allein durch ihre betont aufdringliche Anwesenheit Angst machen sollten, und sie nutzte Methoden aus – wie wir sagen würden, wenn dies beispielsweise in Russland passiert wäre oder Ungarn – dem „Playbook“ des modernen Autoritarismus: „Technische“ Probleme, einschließlich der Brandschutzbestimmungen, wurden transparent erfunden und missbraucht, um zunächst die Veranstaltung zu verzögern und dann die Zahl der zum Veranstaltungsort zugelassenen Teilnehmer zu reduzieren. Die Schlange vor der Tür wurde dann fälschlicherweise als illegale Versammlung eingestuft. Als ein unbequemer Redner lediglich auf einem Videobildschirm erschien, nutzte die Polizei diesen Vorwand im Blitzkriegstil, um in den Kontrollraum des Veranstaltungsortes einzubrechen und den Strom abzuschalten.
Als eine Art teutonisches Sahnehäubchen auf dieser reichhaltigen Torte aus Schikanen und Gemeinheiten krönte ein Beamter mit „Siegfried“-Look das Ganzen mit der Verhaftung eines jüdischen Kongressorganisators, der eine Kipa trug. Herzlichen Glückwunsch, Herr Oberwachtmeister: Sie sind jetzt berühmt. Ihr Bild zukünftige Geschichtsbücher zieren.
Es besteht kein Zweifel, dass die Unterdrückung des Kongresses illegal und sogar verfassungswidrig war. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden oder sogar mit heftiger öffentlicher Gegenreaktion rechnen müssen.
Es gibt zwei miteinander verbundene Gründe, pessimistisch zu sein: Erstens ist der Angriff auf den Palästina-Kongress nur der jüngste Höhepunkt einer systematischen, anhaltenden Unterdrückungskampagne. Die deutschen Behörden, allen voran in der Hauptstadt Berlin, haben bereits eine solide Erfolgsbilanz bei der Terrorisierung und Unterdrückung derjenigen vorzuweisen, die sich mit den Palästinensern und Palästina solidarisieren oder sich offen und deutlich gegen den Völkermord Israels und die Mitschuld Deutschlands aussprechen. Der Palästina-Kongress hat natürlich genau das versucht. Die deutsche Reaktion bestand darin, die Unterdrückung zu verschärfen, eindeutig um eine Botschaft zu senden: Das offizielle Deutschland wird seinen widerwärtigen Kurs beibehalten. Man bleibt hartnäckig, wie es die deutschen „Eliten“ eben können, wenn sie sich erst einmal ordentlich verschanzt haben im festen, arroganten Glauben, sie wüssten es besser, auch wenn die Mehrheit der Menschheit das Gegenteil sagt.
Hinzu kommt natürlich, dass sich diese deutschen „Eliten“ nun erst richtig einbunkern: Sowohl moralisch als auch juristisch – die Mitglieder der Berliner Regierung sollten sich Sorgen machen um individuelle Strafverfolgung in einer besseren Zukunft – sind sie bereits zutiefst mitschuldig an Israels Verbrechen. Und zwar nicht „nur“ am Völkermord, sondern auch – wie Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu Recht argumentiert – an diversen anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
So würde für die Berliner Komplizen ein Kurswechsel bedeuten, stillschweigend zuzugeben, wie falsch sie sich verhalten haben und wie sehr sie sich selbst und die ihren Anordnungen Folge leistenden Beamten bereits kriminell belastet haben. Früher oder später wird sie diese Wahrheit einholen. Aber es ist typisch für in die Enge getriebene Straftäter, die Abrechnung so lange wie möglich aufzuschieben. Und je schlimmer das Verbrechen, desto größer die Sturheit.
Der zweite Grund, warum ich in Deutschland keinen Massenwiderstand gegen diesen dreisten Fall politischer Repression erwarte, ist, dass er auch einen breiten – wenn auch nicht vollständigen – Konsens in der deutschen Gesellschaft widerspiegelt. Dieser deutsche Komplizenkonsens ist besonders stark verankert in den Medien und, allgemein gesprochen, in den kulturellen „Eliten“, die einen Großteil der öffentlichen Meinung prägen und kontrollieren.
Lange bevor seine Organisatoren und Teilnehmer mutig versuchten, sich zu versammeln, war der Palästina-Kongress einer umfassenden Verleumdungskampagne ausgesetzt. Zu den kräftig verbreiteten Lügen gehörten erwartungsgemäß unbegründete „Antisemitismus“-Beschuldigungen. Die systematische Verwechslung von Kritik und Widerstand gegen Israel und den Zionismus – ein völkermörderisches Apartheidregime und seine Ideologie – mit „Antisemitismus“ ist in Deutschland zu einer Grundsatzlüge geworden. Diese bösartige Absurdität dient als Konformismustest, den diejenigen bestehen müssen, die zur „Werte“-Gemeinschaft des neuen alten Deutschland gehören wollen. (Wie ich letzten Oktober besprochen habe. Ja, so vorhersehbar war diese Entwicklung, weil sie bereits eine so lange Geschichte hat.)
Nachdem der Kongress geschlossen worden war, frohlockte die Zeit , die deutsche Wochenzeitung für das gefühlte Bildunsbürgertum, da habe man „ Kurzen Kongress gemacht .“ Eine erbärmliche, niedrige Phrase. Es stinkt gewaltig nach jener üblen Mischung aus Unterwürfigkeit und Nach-unten-Treten, die seit jeher den Untertan auszeichnet, den Kriecher vor der Obrigkeit, die uns sagt, was wir tun, und, was noch wichtiger ist, denken sollen – von Kaiser über Führer bis hin zu Kanzler und Talkshow.
Das offizielle Deutschland stellt sich auf die Seite eines Völkermords, der fälschlicherweise als „Selbstverteidigung“ im Kampf um die nackte Existenz dargestellt wird. Ironischerweise haben auch die Nazis – die ambitioniertesten (aber nicht die einzigen) Völkermörder in der deutschen Geschichte – eine solche Erzählung verwendet. Hitler behauptete genau das: Die Massenmorde an Juden seien die Art und Weise, wie die Deutschen sich und ihre Zukunft verteidigten. Pervers? In der Tat. Verrückt? Natürlich. Absolut böse? Offensichtlich. Dennoch lassen viele zeitgenössische deutsche „Eliten“-Vertreter israelischen Völkermördern nicht nur im Wesentlichen denselben Trick durchgehen , sondern beeilen sich auch, bei der Verbreitung ihrer Lügen zu helfen.
Es macht einen traurigen Sinn, dass gerade in diesem Moment viele Deutsche auch ihre Vorliebe für krasse politische Unterdrückung wiederentdecken, solange sie diejenigen trifft, von denen die meisten von ihnen der Meinung sind, dass sie es ja verdienen. Auch das nationalsozialistische Deutschland hat den Dissens in seiner „Volksgemeinschaft“ einerseits mit dem Polizeiknüppel (und noch Schimmerem natürlich) neiedergemacht und andererseits mit Hilfe dessen, was es „gesundes Volsempfinden“ nannte – eine faschistische Art zu sagen: „Wir sind uns alle einig bei der Ausgrenzung.“ /Dämonisierung/Wegsperrung/Ermordung dieser da und deshalb haben sie es verdient.“
Viele Beobachter im Ausland werden sich nun zu Recht auf die schamlose Zurschaustellung der staatlichen Gesetzlosigkeit bei der Unterdrückung des Palästina-Kongresses in Berlin konzentrieren. Aber sie sollten zwei andere, gleichermaßen schädliche und unheilverkündende Dinge nicht übersehen: Der Konformismus der Vielen wird wieder aggressiv und brutal als Waffe eingesetzt, in einem autrumpfend intoleranten Stil; und die deutschen „Eliten“ – und die vielen Konformisten, die ihnen bereitwillig folgen – entdecken die deutsche Arroganz der Sonderrolle wieder: Die Worte und Taten dieser Deutschen zeugen von einem tiefen Gefühl des Privilegs, das perverserweise aus den historischen Verbrechen Deutschlands abgeleitet wird. Ein Privileg, das es Deutschland erlauben soll, die Vernunft und das Recht zu verachten, im In- und Ausland.